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  • AutorenbildNatalie Lehnert

Mich verstehen

An dich,


weißt du noch, wie oft du gesagt hast, dass du mich nicht verstehen kannst? Ich habe oft genug in mich hinein geseufzt, weil ich es selber nicht konnte. Egal wie wortgewandt und durchdacht ich mich wähnte, war ich dir keinen Schritt voraus. Es spielt auch keine Rolle, dass meine Position eine vollkommen andere war und ist. Manchmal wollte ich meinen ganzen Mut zusammenkratzen und das Schweigen brechen, was zwischen uns stand. Aber was sollte ich sagen? Meine Erkenntnisse waren so schemenhaft und brüchig, dass sie in dir mehr Fragen als Wissen entfesselt hätten.


Und selbst als ich belesen auf mein Leben und mein So-Sein blickte, streckte der Zweifel mir die Zunge raus. Es mag 1000 Worte geben, die deine Toleranz wachküssen, aber verstehst du mich dann wirklich? Wirst du dann begreifen, wie es sich anfühlt, eine halbe Stunde lang vor einem Regal zu stehen ohne den Inhalt richtig wahrnehmen zu können? Wie es sich anfühlt, wenn die Reize durch deinen Kopf tanzen und du nicht mehr in der Lage bist, etwas in einem Supermarkt-Regal zu identifizieren?


Ich könnte Aufsätze darüber schreiben, wie mein Kopf verzweifelt versucht, das große Ganze zu einem Bild zusammenzusetzen und ihm die Puzzleteile regelrecht um die Ohren fliegen. Wie mein Gehirn in der Überforderung brennt und viele Produkte nicht mehr identifizieren kann. Bin ich hier richtig? Stattdessen fliegen ihm Geräusche und Gerüche um die Ohren und er registriert, wie jemand etwas aus dem Regal nimmt und geht. Gesehen und identifiziert. Klingt einfach, ist es für manche aber nicht.


Oder wenn ich vermeintlich ein Teil einer Gruppe werde. Wie Pingpong Bälle werft ihr euch Gesprächsfragmente zu und ich bewundere eure Treffsicherheit. Ihr passt den Moment ab, der euch die Gelegenheit gibt, an dem Kommunikationsmatch teilzunehmen. Nur ich frage mich erneut, wann ich eingreifen kann, ohne soziale Regeln gegen die nächste Wand zu schmettern. Manchmal bilden sich dann Grüppchen, die sich thematisch voneinander abheben. Dann fühle ich mich, als müsste ich ein bestimmtes Rädchen im Blick behalten, während sich zwei Dutzend weitere in einem Affenzahn um dieses eine drehen.


Es gibt so verdammt Vieles, was ich dir erklären möchte, aber wie realistisch ist das? Oder wie wichtig? Und warum bin ich es, die Erklärungen liefern muss, obwohl ich dich manchmal genauso wenig verstehe? Denn wenn ich so anders bin als du, wieso glaubst du, dass es mir anders geht? Weil ich irgendwann gelernt habe, um ein Verständnis zu werben, welches du für dich voraussetzt? Vielleicht ist das Problem weniger, dass ich anders bin, sondern vielmehr, dass es eine Rolle spielt.


Copyright Natalie

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