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AutorenbildNatalie Lehnert

Der finale Stempel

Kennst du das Gefühl, in einem Raum voller Fernseher zu sitzen? Jeder einzelne von ihnen strahlt ein anderes Programm aus. Laut, schrill, nervig. Deine Ohren arbeiten auf Hochtouren, aber sie kommen nicht gegen die Masse aus Geräuschen an. Bunte Bilder flitzen über die Bildschirme und du weißt weder, wo du hinschauen noch hinhören sollst. Eigentlich möchtest du nur raus aus der Bildschirmhölle, nicht wahr?


Wenn ich in einem Gasthaus sitze, mitten unter Menschen, gehen auch meine Bildschirme alle an. In deinem Kopf sitzt ein Qualitätsprüfer, der donnernd seine Stempel auf die Prüfberichte knallt. Zurück bleibt ein Wort: wichtig, situationsabhängig oder unwichtig. Er erteilt dir die Möglichkeit, deine Aufmerksamkeit vollkommen auf ein Gespräch zu lenken und dann erst wird der finale Stempel gesetzt. Gewissenhaft prüft er für dich, ob eine Unterhaltung deinen Interessen entspricht und zeigt den anderen Gesprächen die rote Karte. Mein Qualitätsprüfer verbringt seine Nächte in Diskotheken. Wenn ich ihn brauche, rührt er lustlos und müde in seinem Kaffee. Seine Waffe ist der Stempel mit der Aufschrift "Wichtig". Damit bearbeitet er jedes meiner Dokumente. Filtern? Ist nicht. Blöd für mich - und er hat seine Ruhe.


Wenn ich zu einem Geburtstag gehe, dann verschmelze ich mit dem Inventar. Zwangsläufig wird man sich fragen, ob ich schüchtern bin. Dabei wird man das eigentliche Problem übersehen. Bei diesem Geburtstag werden sich Grüppchen bilden und jedes von ihnen wird ein anderes Gesprächsthema aufgreifen. Und dann werden sich die Gruppen neu mischen, wieder und wieder und wieder. Vermutlich werden mehrere dieser Gruppen im Laufe der Feier interessante Themen ansprechen. Themen, in die ich mich einbringen könnte.

Kannst du dir vorstellen, wie es ist, alle Gespräche gleichzeitig zu hören und dabei jede Bewegung wahrzunehmen? Wenn alles um dich herum furchtbar anstrengend wird. Deine Ohren kündigen dir die Zusammenarbeit. Worte zischen wie Hagelkörner zu dir herab. Wenn sie bei dir ankommen, ist längst ein Einheitsbrei daraus geworden.


Ich wünschte, du könntest die Welt einmal aus meinen Augen betrachten.

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