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  • AutorenbildNatalie Lehnert

Autismus bei Mädchen und Frauen Teil 1

Lange ging man davon aus, dass Autismus vorwiegend Jungen betreffen würde. Mittlerweile weiß man, dass viele Mädchen nicht oder erst sehr spät diagnostiziert werden, da sich nach wie vor noch mehr auf die „typischen Auffälligkeiten“ konzentriert wird. Vielen Mädchen mit Kontaktschwierigkeiten gelingt es jedoch, zu einem einzelnen Kind einen Kontakt aufzubauen und diesen einigermaßen zu halten. Sie wirken oft sozial kompetenter als sie eigentlich sind und kompensieren ihre Schwächen oft so gut, dass sie insgesamt nicht auffallen.

Ihre Spezialinteressen sind häufig wesentlich unauffälliger als die der männlichen Autisten, da sie nicht selten mädchentypisch sind. Jedoch sind sie so sehr auf ihr Spezialinteresse fixiert, dass es weit über ein normales Interesse hinausgeht.

Autistische Mädchen wirken oft schüchtern. Manche von ihnen reden sehr viel, jedoch sind sie nicht in der Lage, ein wechselseitiges Gespräch zu führen und monologisieren stattdessen. Andere bevorzugen eine andere Art der Kommunikation als über die verbale Sprache.

Mit ihrer Art zu sein passen sie sich mehr dem Klischeebild eines Mädchens an.


Allerdings gibt es auch Autistinnen, die sehr burschikos wirken und aus diesem Grund zwar auffallen, jedoch nicht als autistisch angesehen werden. Viele autistische Mädchen sind im Unterricht sehr unauffällig. Einige von ihnen suchen keinen Kontakt zu Gleichaltrigen und scheinen den Umgang mit Erwachsenen zu bevorzugen oder bleiben komplett für sich. Andere wiederum suchen den Kontakt ausschließlich zu Jungs, da sie dort besser akzeptiert werden.


Autistische Mädchen lernen oft sehr früh, sich anzupassen und es anderen Recht zu machen. Das kostet sie viele Energien. Von Mädchen wird oft wesentlich mehr Kontaktfreudigkeit erwartet als von Jungs. Sind sie nach einem Schultag mit vielen sozialen Interaktionen erschöpft, ziehen sie sich häufig zurück.

Zudem leiden sie oft unter Selbstzweifeln, weil sie früher als Jungs sich damit konfrontiert sehen, anders zu sein als die anderen Gleichaltrigen. Die Gesellschaft setzt bei ihnen voraus, dass sie sehr gesellig sind, den Kontakt zu Mädchengruppen suchen und sich „gut benehmen können“. Ihre dadurch sich entwickelnden Erschöpfungszustände werden oftmals nicht bemerkt.


Bitten sie um Hilfe, wird häufig nicht erkannt, dass sie dieser wirklich bedürfen oder die Bitte um Hilfe wird nicht verstanden, da autistische Mädchen oftmals nicht wissen, wie sie Hilfebedürftigkeit kommunizieren können. Durch ihre häufig wenig eingesetzte Mimik oder falsch eingesetzte Mimik entstehen Missverständnisse. Zudem wird sie oft dadurch nicht erkannt, da die Stimmlage gegen ihre Hilflosigkeit zu stehen scheint und sie dadurch nonverbal einen anderen Eindruck erwecken, wodurch falsch auf sie reagiert wird.



Anna schreit viel, wenn die Mutter sie in den Kindergarten bringt. Dabei besucht sie diesen

bereits seit einigen Monaten. Manchmal schreit sie noch eine ganze Weile, wenn die Mutter

die Einrichtung bereits verlassen hat. Auf die Erzieher und Erzieherinnen reagiert sie kaum.

Zwar nimmt sie diese wahr, jedoch nimmt sie von sich aus keinen Kontakt zu ihnen auf.

Auch die anderen Kinder sind ihr suspekt und werden ignoriert. In der Gruppe ist es immer

sehr laut und die Regeln und Abläufe kann sie so nicht verstehen, da sie sich nicht darauf

konzentrieren kann. Trotzdem beobachtet sie viel und sie spürt das Wohlwollen der einen

Erzieherin und die Unsicherheit der anderen. Oft beißt sie in ihre Kleidung, um sich zu beruhigen.



Stefanie geht in die erste Schulklasse. Zusammen mit ihrer Kindergartenfreundin Loriana

wurde sie letztes Jahr eingeschult. Im Kindergarten hat sie viel Zeit mit Loriana verbracht

und viel von ihr gelernt. Nur wenn andere Kinder dazu kommen wollten war sie ärgerlich.

Dann hatte sie Loriana nicht mehr ganz für sich alleine und sie fühlte sich überfordert.

Der Wechsel an die Schule brachte viel Chaos für sie, das sich allmählich legt. Leider sind

auch hier andere Kinder, für die sich Loriana ebenfalls interessiert. Manchmal spielt sie

sogar mit ihnen. Stefanie bleibt dann ganz alleine für sich, weil sie davon überfordert ist.

Wenn sie mit Loriana spielt, darf sie das Spiel dominieren. Anders klappt es für sie auch

nicht, weil sie keine Ahnung hat, wie das gehen soll. Andere Kinder lassen sich auch nicht

darauf ein, wurde ihr oft genug zurückgemeldet. „Du darfst nicht so dominant sein,“ sagte

man ihr oft genug. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie es sonst machen sollte und böse

meinte sie das doch nicht.



Annas Autismus tritt deutlich erkennbarer in den Vordergrund, wobei sie eventuell lange Zeit einfach nur als schüchtern gelten wird. Sie zeigt kein deutlich sichtbares Stimming. Das Beißen in ihre Kleidungsstücke wird vermutlich der Schüchternheit zugesprochen oder einem „starken Willen“. Würde sie stattdessen mit dem Oberkörper vor- und zurückschaukeln oder im Kreis laufen würde eventuell der Verdacht auf Autismus aufkommen.

Ein Kontakt zu anderen Kindern könnte ihr als Einzelkontakt mit viel liebevoller und geduldiger Anleitung möglich sein. Dazu muss jedoch erkannt werden, warum sie keinen Kontakt zu anderen Kindern sucht und ihre Schwächen müssen ausgeglichen werden.


Stefanies Autismus ist deutlich subtiler und dadurch schwerer zu erkennen. Dennoch kann ihr Leidensdruck genauso groß sein wie der von Anna. Im Gegensatz zu Anna hat Stefanie gelernt, ein Kind mit in ihr Spiel zu integrieren, wenn sie „Drehbuch führen darf“. Dies wird nur selten akzeptiert. In Loriana hat sie ein Kind gefunden, das auf sie eingeht und sie so mag wie sie ist. Trotzdem interessiert sich Loriana ebenfalls für andere Kinder in ihrem Alter. Stefanies Chance besteht darin, dass sie durch Loriana einen Zugang zu einem weiteren Kind findet oder „unsichtbar in einer Gruppe“ werden kann. Denn sich auf mehrere Kinder gleichzeitig zu konzentrieren schafft sie nicht. Um das zu schaffen muss sie extrem viel Energie aufbringen, um ihren Autismus zu kompensieren. Problematisch ist, dass dies nicht als Autismus erkannt werden wird und damit die Hilfe für sie ausbleibt.

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